Seit dem Aufkommen der Online-Buchungsplattformen ist in der Gemeinde Interlaken die Zahl der Zweitwohnungen stark gestiegen. Gleichzeitig ist das Wohnungsangebot für die ortsansässige Bevölkerung zurückgegangen und die Immissionen in den Wohnquartieren sind gestiegen. Deshalb hat die Gemeindeverwaltung einen Massnahmenkatalog erarbeitet, um die auf diesen Plattformen angebotenen Übernachtungsmöglichkeiten zu erfassen und sie je nach Gemeindegebiet spezifisch zu regeln.
Weshalb wurde die Gemeinde aktiv?
Die Gemeinde Interlaken mit ihrer Bevölkerung von rund 6000 Personen gehört zu den meist besuchten Tourismusdestinationen der Schweiz. Die Gäste aus dem Ausland tragen zur Wirtschaftsdynamik der Gemeinde bei, die über ein lebendiges Ortszentrum mit zahlreichen Läden und ein breites Angebot an Dienstleistungen und Übernachtungsmöglichkeiten verfügt. Allerdings hat sich das Beherbergungsangebot in den letzten Jahren stark verändert. Ende 2019 waren allein auf dem Gemeindegebiet über 300 Übernachtungsangebote auf Plattformen wie Airbnb zu finden. Diese neue Art der Vermittlung hat für die ortsansässige Bevölkerung, die lokale Wirtschaft und die Behörden eine Reihe von Problemen und Unannehmlichkeiten zur Folge:
Wird bestehender Wohnraum zu Zweitwohnungen für die Beherbergung von Reisenden umgenutzt, bleiben weniger Erstwohnungen für die ortsansässige Bevölkerung. In der Folge wird erschwinglicher Wohnraum knapp. Dies ist umso besorgniserregender als zahlreiche Arbeitskräfte im Tieflohnbereich (Verkauf, Hotellerie) tätig sind und verhältnismässig wenig Mittel für das Wohnen zur Verfügung haben.
Aufgrund der Buchungsplattformen sind neu auch viele Beherbergungsangebote in Wohnquartieren zu finden. Die häufigen Mieterwechsel führen allerdings zu Problemen, insbesondere zu Lärm und vermehrtem Verkehrsaufkommen, was sich negativ auf die Lebensqualität in der Nachbarschaft auswirkt.
Der Anteil an Zweitwohnungen hatte sich zwischen 2014 und 2018 zirka verdoppelt. Ende 2018 betrug der Zweitwohnungsbestand gemäss Gebäude- und Wohnungsregister knapp 18 Prozent. Ab einem Anteil von 20 Prozent müsste die Gemeinde die Bestimmungen des Bundesgesetzes über Zweitwohnungen anwenden, wodurch der Bau neuer Zweitwohnungen deutlich gebremst würde.
Der Einzug von Steuern und Abgaben im Zusammenhang mit Einnahmen aus der Vermietungstätigkeit stellt für die Gemeindebehörden eine weitere Herausforderung dar.
Wie handelt die Gemeinde?
Angesichts der starken Zunahme des Phänomens hat die Gemeinde beschlossen, möglichst rasch zu handeln. Aufgrund der besonderen lokalen Gegebenheiten und der fehlenden Erfahrung aus anderen Schweizer Gemeinden mussten jedoch erst geeignete Lösungen gefunden werden. Zwei Stossrichtungen wurden parallel verfolgt: Um entsprechende Wohnangebote registrieren und erfassen zu können, wurde einerseits das Kurtaxenreglement geändert. Andererseits hat die Gemeinde eine «Planungszone» erlassen und in der Folge eine Änderung des Baureglements zur Regulierung der Anzahl Zweitwohnungen beschlossen.
Mit der Änderung des Kurtaxenreglements wurde eine Meldepflicht für die Beherbergenden eingeführt. Sie müssen die Gemeinde über den Beginn und das Ende ihrer Tätigkeit informieren und sich in ein Verzeichnis eintragen lassen. Gleichzeitig müssen sie eine Ansprechperson vor Ort angeben, mit welcher allfällige Probleme im Zusammenhang mit der Fahrzeugparkierung, der Abfallentsorgung, der Nachtruhe oder der Erhebung der Kurtaxe möglichst schnell geregelt werden können. Ausserdem wird festgelegt, dass die im Verzeichnis figurierenden Daten zu amtlichen Zwecken auch anderen öffentlichen Stellen zugänglich sind, insbesondere den Steuerbehörden, aber auch der für die Kurtaxe zuständigen Tourismusorganisation oder den Sozialversicherungen.
Die andere Neuerung im Reglement betrifft die Verpflichtung, an Gebäuden eine einheitliche Beschilderung anzubringen, die die Anzahl der gemieteten Zimmer und Betten angibt. Indem entsprechende Vermietungstätigkeiten auf diese Weise sichtbar gemacht und erfasst werden, gibt sich die Gemeinde indirekt die Mittel, dass die so generierten Einnahmen deklariert und die Abgaben tatsächlich bezahlt werden.
Die Änderung des Reglements wurde im Mai 2019 in einer Volksabstimmung mit 92 Prozent Ja-Stimmen angenommen. Das Abstimmungsergebnis sowie die hohe Wahlbeteiligung zeigen aus Sicht der Behörden, dass die Bevölkerung sich von diesem Phänomen betroffen fühlt und Handlungsbedarf sieht. Die Beschilderung ist Gegenstand einer neuen Kurtaxverordnung, die gemeinsam mit drei umliegenden Gemeinden erarbeitet wurde, um über eine einheitliche regionale Basis zu verfügen. Das Reglement ist seit Juli 2019 und die Verordnung seit Januar 2020 in Kraft.
Die Gemeinde hat zudem eine Planungszone erlassen, die im Dezember 2018 veröffentlich wurde. Die Planungszone fällt in die Zuständigkeit der Exekutive und konnte deshalb rasch umgesetzt werden. Seit ihrer Veröffentlichung ist sie verbindlich und wirkt damit als eine Art Moratorium für maximal zwei Jahre. In dieser Zeit darf nichts unternommen werden, was den Planungszweck beeinträchtigt, in diesem Fall die Begrenzung des Zweitwohnungsbaus. Der Perimeter der Planungszone umfasst Wohn-, Misch- und Kernzonen. Der Bau von Zweitwohnungen oder die Umnutzung von Erst- zu Zweitwohnungen sind dadurch grundsätzlich ausgeschlossen.
Mit der Verabschiedung dieser Massnahme hat sich der Gemeinderat die notwendige Zeit gegeben, um geeignete Massnahmen zur Eindämmung des Zweitwohnungszuwachses zu prüfen, auszuarbeiten und zur Abstimmung zu bringen.
Eine Arbeitsgruppe wurde eingesetzt, um die Einführung von regulatorischen Massnahmen im Baureglement zu prüfen. Sie setzte sich aus Mitgliedern des Gemeinderats, der Baukommission und der Bauabteilung sowie aus Mitarbeitenden eines externen Beratungsbüros zusammen. Letztlich wurde das Geschäft Teilrevision Ortsplanung «Zweitwohnungen» im Dezember 2020 vom Gemeindeparlament einstimmig beschlossen, womit die Planungszone infolge der Vorwirkung der öffentlich aufgelegten Vorschriften abgelöst wurde. Die Genehmigung durch die kantonale Behörde ist im März 2021 erfolgt.
Mit der eingebrachten Lösung soll ein Gleichgewicht zwischen den Interessen der Bevölkerung und denjenigen der Tourismusbetriebe und ihrer Kundschaft geschaffen werden. Deshalb werden je nach Zone unterschiedliche Massnahmen vorgeschlagen, um einerseits im Zentrum und in den Mischzonen die Koexistenz von Wohnraum sowie von Gewerbe, Gastronomie und Tourismus beizubehalten, und andererseits die Wohngebiete vor Störungen zu bewahren.
Im Zentrum und in den Mischzonen sieht die Revision des Baureglements die Einführung eines Erstwohnungsanteils vor. Damit soll der ortsansässigen Wohnbevölkerung ein minimaler Anteil an zentrumsnahmen Wohnmöglichkeiten garantiert werden. Der Erstwohnungsanteil für das Zentrum wird mit 25 Prozent tiefer angesetzt als für die Mischzonen (50 Prozent), da das Zentrum einen grossen Teil der gewerblichen und touristischen Aktivitäten aufnehmen muss. Allerdings gelten diese Bestimmungen nur für Neu- und Erweiterungsbauten. Die Gästewohnungen, die schon vor dem Erlass der Planungszone genehmigt wurden, sind somit nicht betroffen.
Für die Wohnzonen ist ein Verbot kurzzeitiger Vermietungen vorgesehen. Um Störungen durch häufige Gästewechsel zu vermeiden, ist es Privaten untersagt, ihre Räumlichkeiten für weniger als drei aufeinanderfolgende Nächte zu vermieten. Zulässig bleibt die kurzzeitige Vermietung von einem oder mehreren Zimmern einer vom Vermieter bewohnten Wohnung, ebenso wie die kurzzeitige Vermietung durch einen zugelassenen Beherbergungsbetrieb. Anders als beim Erstwohnungsanteil soll diese Bestimmung sowohl für bestehende als auch für neue Wohnungen gelten.
Welche Erfahrungen hat die Gemeinde Interlaken gemacht?
Die im März 2021 genehmigten baurechtlichen Bestimmungen in Sachen Zweitwohnungen haben in der Anwendung zu keinen nennenswerten Problemen geführt.
- Nur Massnahmen ergreifen, wenn der Druck gross ist und verschiedene Kreise und Akteure davon betroffen sind
- Für rechtliche und raumplanerische Fragen kompetente Fachpersonen beiziehen
- Das Verfahren innerhalb des Gemeinderats breit abstützen
- Der Verwaltung für die Ausarbeitung und Umsetzung der Massnahmen ausreichende Ressourcen zur Verfügung stellen
Dokumente
Zahlen und Fakten
Die Website AirDNA.co listete 335 Objekte (davon 236 ganze Wohnungen) auf, die im Juli 2021 in der Gemeinde Interlaken auf Airbnb oder vrbo angeboten wurden.
Letzte Änderung 22.07.2024